UNESCO-Projekttag: Geschichte um „Die Ecke“

 

Heute ist der 26. April 2023. Vor 78 Jahren und 22 Tagen entstand am 4. April 1945 das Foto an der Ecke. Zwischen Hauswänden und Geröll, auf der Straße liegend, an der Ecke Sperlingsberg in Oberdorla: ein erschossener amerikanischer Soldat.

Auf dieses Foto stieß Christa Pfafferott, Journalistin, Regisseurin und Autorin, per Zufall auf Twitter. Es wurde von der jungen Schwedin Sanna Dullaway koloriert, mit der Absicht, durch die Farbe eine neue Verbindung zum Foto und zur damaligen Zeit für die heutige Generation zu schaffen. Das ist ihr gelungen, denn Frau Pfafferott inspirierte dieses Bild und brachte sie auf die Idee, sich näher damit auseinander zu setzen – in Form eines Dokumentarfilms, der an die Geschehnisse aus der Vergangenheit erinnern und die Auseinandersetzung mit der Geschichte fördern soll.

Die elfte Jahrgangsstufe hatte im Rahmen des UNESCO-Projekttages die Gelegenheit, diesen Dokumentarfilm im Rathaussaal anzuschauen und im Nachhinein mit der Regisseurin ins Gespräch zu kommen. Wir durften fragen und kommentieren, unsere Sichtweisen darlegen und philosophieren: Werden wir es schaffen, aus der Geschichte zu lernen? Wird es uns gelingen, einen dritten Weltkrieg zu verhindern?
Eine Antwort darauf haben wir nicht, doch wir kennen den richtigen Weg. Es ist die Aufgabe dieser Generation – unsere Aufgabe – zu lernen, zu verstehen, zu reflektieren, uns eine Meinung zu bilden und die Welt zu verbessern. Es ist unsere Geschichte, über die einmal geschrieben wird, von der Fotos geschossen werden und über die irgendwann Dokumentarfilme laufen, um an uns zu erinnern.

„Die Ecke“ ist nicht nur ein Foto, nicht nur eine Quelle. Sie ist ein Stück Vergangenheit und transportiert die Geschichte in die Gegenwart. Wir sehen einen erschossenen amerikanischen Soldaten. Doch wir erkennen in ihm einen Familienmenschen, einen Sohn, dessen Angehörige in der Heimat fest an seine Rückkehr geglaubt hatten. Sein Schicksal ist nur eines von über 60 Millionen Kriegsgefallenen, doch bewegt dessen ungeachtet auch heute noch unzählige Menschen. Die Einwohner in Oberdorla sind berührt von diesem Stück Historie, das sich vor ihren Haustüren abspielte. Und wir sind beeindruckt, dass sie den gefallenen Amerikaner beweinen und ihm gedenken. Somit können wir neue Hoffnung schöpfen, auf dem richtigen Weg zu sein, die Gleichwertigkeit aller Menschen anzuerkennen.

Doch unsere historische Reise beendeten wir noch nicht im Rathaus, sondern setzten sie auf dem Friedhof mit dem Volksbund Deutsche Kriegsgräberfürsorge e.V. und Jörg Kaps, dem Beauftragten für das jüdische Erbe der Stadt Arnstadt und politische Bildung der Stadtverwaltung, fort. Wir wurden entlang von Gräbern und Gedenkstätten geführt, über deren Entstehung und Bedeutung informiert und ermutigt, Fragen zu stellen. So sahen wir beispielsweise Gräber von deutschen gefallenen Soldaten des Ersten Weltkrieges und von west- und osteuropäischen Kriegsopfern des Zweiten Weltkrieges. Zuletzt besuchten wir den jüdischen Friedhof, ein geschütztes Kulturdenkmal der Stadt Arnstadt, auf dessen Gräbern uns Steine auffielen. Herr Kaps erklärte, es sei ein jüdischer Brauch, zum Gedenken der Liebsten statt Blumen oder Kränzen, Steine zu hinterlassen. Steine vergehen nicht – sie stehen für das Erinnern, gegen das Vergessen.

An unserem UNESCO-Projekttag legten wir alle gedanklich einen Stein auf unsere Vergangenheit, auf dass wir aus ihr lernen und unsere Zukunft besser gestalten.

Wir danken Herrn Wieland Koch, dem Referatsleiter Referat 4 der Landeszentrale für politische Bildung, für die Finanzierung und Organisierung dieses Tages sowie die Bereitstellung von Materialien und die Zusammenarbeit mit dem Volksbund Deutsche Kriegsgräberfürsorge e.V.

Ein weiterer großer Dank geht an unsere Lehrer Herrn Dr. Bergold, Frau Stangl und Frau Renner, die den Projekttag geplant, vorbereitet und durchgeführt haben und uns am Vormittag in der Schule in das Thema einführten.

Begleitet wurden wir vom MDR, der unseren Projekttag für das Thüringen Journal filmte, in dem über regionale kulturelle und gesellschaftliche Ereignisse berichtet wird. Wir gingen souverän mit der Kamera um, wurden interviewt, hatten das Gefühl, ein Teil von etwas Bedeutsamen zu sein und dass unsere Gedanken und Gefühle gehört, wahrgenommen und wertgeschätzt werden. Auch die Zeitung, die einen Bericht über den Projekttag am 27.04. abdruckte, sowie das Radio, das im Beitrag „Das Fazit vom Tag“ im MDR Thüringen Radio am Abend des 26.04. über das Projekt berichtete, standen auf dem Friedhof an unserer Seite.

Rebecca Uhlworm, Schülerin der 11. Klasse